Spur der Verwüstung

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In dieser Nacht wurde der spanische König gestürzt. In seinem zerschlis­senen Fellmantel sah er aus wie ein abgehalfterter Weihnachtsmann. Mit einer weißen Robbe und dem kürzlich zum Delphin erklärten Europäi­schen Parlament spielte er Ball.

      Beherzt griff der Winter mit knöchernen Fingern in die Saiten seiner Harfe. Das Kaminzimmer im Erdgeschoss des alten Häuschens war warm und bequem. Die Polster verströmten einen Duft von Staub und Tabakblättern und früh am Morgen waren unsere Münder vom Wein dunkelrot gefärbt. Im Kamin verglomm das letzte Holzscheit als die Vögel begannen den Tag herbeizusingen.
 
Am Sommermorgen verteilt jemand Wasser auf der Straße und in einer kleinen Vertiefung sammelt sich ein bisschen davon.
      »Jesus starb am Kreuz«, erklärt der Spanier. »Du musst ein bisschen lispeln und mehr Lebensart in diesen Satz legen.«
      Der schwarze Tee rüttelt an einem Trampolin in meinem Kopf, auf dem die Lebensgeister fröhlich auf und ab toben. Mit zusammengeknif­fenen Augen fixiere ich das grobe Muster auf seinem Hemd. Ich sage es wieder und wieder bis er zufrieden lacht.
      Später werde ich damit eine Konversation beginnen, diesem einzigen mir bekannten zusammenhängenden Satz.
      »Auf die Plätze, fertig, los!«, ruft einer aus dem Turmfenster.
      Die Sonne glitzert hinter dem kahlen Baum, der die Sicht auf den Gipfel versperrt. Eine Glocke läutet und leichten Schrittes marschieren wir ins Dorf.
 
Blechern schnarrt Musik aus einem Lausprecher in der Bar. Die einhei­mischen Gäste haben das kurzweilige Sein perfektioniert. Sie trinken gesellig plaudernd und rutschen auf den nächstgelegenen Barhocker. Irgendwann verlassen sie diesen unvermittelt mit einer gestandenen Rückwärtsrolle in die Mitte des Lokals, wo sie ausgelassen ein paar Mal zwischen Decke und Boden hin und her hüpfen. Klatschend spazieren sie zurück an eine andere Stelle der Theke und das Spiel beginnt aufs Neue.
              Der Barkeeper sieht mich an, als hätte er alle nur vorstellbare Zufrieden­heit, die das Leben bereithält, erreicht und serviert den dritten Drink aufs Haus.

 

 

 ||  PAUSE

 

 An der Eiche auf dem Dorfplatz hängt eine Schaukel. Ein lauer Wind-hauch schwingt das verwitterte Brettchen in der Sonne. Kinder werfen Papierflugzeuge in den Himmel und unter dem Baum landet ein Jabiru.
    »Komm«, klappert er, »Steig auf Shahids Rücken.«
    »Wohin?« Doch er schweigt.
    Schnell gewinnen wir an Höhe und segeln über die braune Hoch-ebene. Ich schaue herab auf die Dächer. Ein ganz alltäglicher Anblick, wie überall.
    »Aber wenn er morgen verschwunden wäre«, raunt mir der Storch zu, »hätte er einen ganz besonderen Wert für dich, nicht wahr?«
    
»In jedem Traum gibt es eine Trauminsel«, erklärt Shahid, als wir über einen riesigen Stausee fliegen. »Ein kleines Eiland inmitten des Nichts. Die meisten Träume verfügen sogar über mehrere Inseln. Je nach Jahres¬zeit sind sie weithin sichtbar durch einen großen Magnolien-baum mit dunklen Blüten oder einen Funkturm.«
    »Wozu soll das gut sein? Und was für ein Turm?«
    Wir drehen einen großen Bogen zu den sanft ansteigenden, schneebe¬deckten Bergen und ich denke an einen weit entfernten Ma-gnolienbaum am Horizont. In all ihrer farbenprächtigen Herrlichkeit fesselt mich diese Utopie für eine Weile. Als ich beginne zurück in meine gewöhnlichen Gedanken zu versinken, reißt eine Böe die Blätter am Baum unvermittelt hinauf in den Himmel. Wir schießen hoch oben über das Gebirge und mich fröstelt im kalten Wind.
    »Wie ein Schwarm von tausend kleinen Rotkehlchen, der unver-mit¬telt nach Süden aufbricht?«, errät er aus der Vogelperspektive.
    »Das ist ambivalent. Ich erlebe gleichermaßen argwöhnischen Zwei¬fel und gefällige Hingabe«, denn nun ist der Baum wie alle Bäume im Winter, fast schon langweilig, und der atemberaubende Anblick vorbei. Und doch kann ich  einen magischen Moment bezeugen, den kein anderer Gedanke so schnell verdrängt.
    »Was für immer bleibt ist ein schwacher Schmerz.«

 

   <<  REWIND

Wir haben ein Motorrad gestohlen. Es war keine Schwierigkeit, denn der Schlüssel steckte. In den Gassen herrschte selige Ruhe. Die raue Natur hatte alle Lebendigen dieser abgelegenen Siedlung unter ein schüt­zendes Dach gedrängt.
      Aggressives Knattern zerreißt die Stille, als wir den Motor starten.
      »Unser Tun wird nicht lange unentdeckt bleiben«, denke ich noch, als schon die Haustür aufschwingt. Ein empört dreinblickender, grob­schlächtiger Mann tritt ins Freie, in der Hand eine lange Axt.
      »Er wird wohl nicht der beste sein zu Fuß«, hoffe ich insgeheim. Mutig schwingen wir uns auf die Sitzbank. Zu zweit hat man hier er­staunlich viel Platz. Ich gebe Gas und biege in die nächstbeste Gasse ein. Das Wirrwarr der Wege erleichtert unsere Flucht.  Wieder links und zwei Mal rechts. Weit hinter uns stolpert drohend der Grobian, unverständliches Kauderwelsch rufend.
      »Vielleicht ist wenig Benzin im Tank«, mutmaße ich.
      »Ich glaube er hat uns verwünscht.  Wir sollen wochenlang an eine Fels­wand gefesselt sein.«
      Wie konnte ich auch nur zweifeln, dass sie nicht wie stets gerade ausreichend vorbereitet in ein Abenteuer geriete?
 
Ohne Last können wir den verrückten Hexer weit hinter uns lassen und brausen aus dem Dorf. Als die letzten Häuser vorbeiziehen, streckt sie ihre Arme seitlich von sich und je schneller wir werden, umso mehr fühle ich die Schwerelosigkeit.
      Nach dem letzten Haus mündet der Weg in einen felsigen Pfad. Mehr und mehr Berge wachsen um uns aus dem Boden und irgendwann wei­chen die wenigen Büsche den Felsbrocken. Ein Berg ragt steil vor uns auf. Unser fortwährender Vortrieb scheint versperrt, doch kurz vor der Felswand teilt sich der Pfad zu bei­den Seiten.
      »Berg von links«, und ich werde langsamer.
      »Es gibt kein Zurück, nur weiter voran«, bin ich überzeugt. »An einen Felsen geschmiedet zu werden ist keine Option in dieser Einöde.«
      Die Schlucht wird enger und der Berg scheint uns aufsaugen zu wollen. Die Felswände links und rechts schmiegen sich dicht aneinander. Als diese Decke dicht über uns ist, kriechen wir nur mehr auf allen Vieren. Wie Schildkröten, an einer unsichtbaren Schnur gezo­gen, kommen wir langsam aber unaufhörlich voran.
      Nach einer langgestreckten Biegung schimmert Tageslicht. Das Loch in der Felswand bietet einen atemberaubenden Blick auf ein langge­strecktes Tal, an dessen Seite sich das Dorf an den Hang schmiegt wie ein Kind an seine Mutter.
      »Hattest du diesen Antennenturm in der Siedlung gesehen?«
 
Ganz nah unter uns steht eine Gruppe japanischer Touristen unbeweglich mit dem Rücken zum Fels. Einige sind auf Leitern gestiegen. Vor ihnen haben Fotografen große Stative aufgebaut.
      Die Techniker winken uns hektisch zu. Nach und nach drehen sich die Leute um und starren uns an. Dann beginnt das ohrenbetäubende Geschrei.
      Wir hätten wohl ein Gruppenfoto ruiniert, für das die Urlauber tagelang regungslos dort gestanden haben. In wenigen Stunden wären die Fotos im Kasten gewesen, schimpfen sie. Vor langer Zeit kam wohl eine bedeutende Religionsperson aus Japan in diese Gegend.
              Offenbar haben wir es also kaputt gemacht. Die Japaner versuchen ungehalten den Felsen zu erklimmen. Als sie ihre Leitern stapeln und uns bedrohlich nahe kommen, ziehen wir uns zurück.

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